Webinar statt Präsenzschulung: Wann darf der Arbeitgeber Online-Schulungen für den Betriebsrat vorschreiben? Analyse des BAG-Beschlusses zu § 37 Abs. 6 BetrVG
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Wichtigste Erkenntnisse
- Dem Betriebsrat steht bei der Auswahl der Art und Weise der Schulung ein eigener, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu, der auch die Wahl des Formats (Präsenz vs. Online) umfasst.
- Arbeitgeber können den Betriebsrat nicht pauschal zur Teilnahme an kostengünstigeren Webinaren verpflichten, selbst wenn diese inhaltlich gleichwertig sind.
- Der Betriebsrat darf bei seiner Entscheidung qualitative Aspekte wie einen höheren Lerneffekt, bessere Interaktionsmöglichkeiten oder Vernetzungschancen von Präsenzschulungen berücksichtigen.
- Die Kosten für eine Präsenzschulung (inkl. Reise- und Übernachtungskosten) sind vom Arbeitgeber zu tragen, wenn die Auswahl durch den Betriebsrat sachlich begründet ist und die Schulung an sich erforderlich ist.
Inhaltsverzeichnis
- Webinar statt Präsenzschulung? Die Entscheidungsbefugnis des Betriebsrats nach neuem BAG-Beschluss
- Der Hintergrund des BAG-Beschlusses: Streit um Kosten für Präsenzschulung
- Die rechtliche Grundlage: § 37 Abs. 6 BetrVG und § 40 BetrVG im Fokus
- Die Kernpunkte der BAG-Entscheidung: Stärkung des betriebsrätlichen Beurteilungsspielraums
- Die Begründung des BAG und ihre weitreichenden Auswirkungen auf die Betriebsratsarbeit
- Praktische Konsequenzen für Betriebsräte und Arbeitgeber: Was bedeutet der Beschluss für die Praxis?
- Die Bedeutung des direkten Austauschs und der Vernetzung: Warum Präsenzschulungen oft wertvoller sind
- Fazit und Ausblick: Gestärkte Autonomie für eine qualifizierte Betriebsratsarbeit
Webinar statt Präsenzschulung? Die Entscheidungsbefugnis des Betriebsrats nach neuem BAG-Beschluss
Die Frage, ob ein Webinar statt einer Präsenzschulung für Mitglieder des Betriebsrats ausreichend ist, beschäftigt Arbeitgeber und Betriebsräte gleichermaßen, insbesondere wenn es um die Kostenübernahme geht. Darf der Arbeitgeber vom Betriebsrat die Teilnahme an günstigeren Online-Schulungen verlangen, auch wenn die Inhalte identisch sind? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Beschluss vom 7. Februar 2024 (Az. 7 ABR 8/23) eine richtungsweisende Entscheidung zu dieser Thematik getroffen, die den Beurteilungsspielraum des Betriebsrats bei der Auswahl von Schulungsformaten nach § 37 Abs. 6 BetrVG maßgeblich stärkt. Dieser Beitrag analysiert die Hintergründe, die zentralen Aussagen und die praktischen Auswirkungen dieses wichtigen Beschlusses für Deine Tätigkeit als angehende:r Jurist:in oder bereits praktizierende:r Arbeitsrechtler:in. Wir beleuchten, welche Argumente der Betriebsrat anführen kann und wo die Grenzen der arbeitgeberseitigen Einflussnahme auf die Schulungswahl liegen. Die Digitalisierung bietet zwar vielfältige Möglichkeiten für kosteneffiziente Weiterbildung, doch die Entscheidung des BAG unterstreicht, dass qualitative Aspekte und der spezifische Nutzen für die Betriebsratsarbeit nicht pauschal hinter ökonomischen Erwägungen zurückstehen müssen.
Der Hintergrund des BAG-Beschlusses: Streit um Kosten für Präsenzschulung
Der konkrete Anlass für die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Quelle: Pressemitteilung BAG, STB Web) war ein Disput zwischen einem Arbeitgeber und einer Personalvertretung, deren Situation auf Basis des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) zu beurteilen war. Die Personalvertretung hatte beschlossen, zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen Präsenzschulung zu entsenden. Die Inhalte dieser Schulung waren unstreitig für die Arbeit der Personalvertretung erforderlich. Der Arbeitgeber erklärte sich zwar grundsätzlich bereit, die Kosten für die Schulungsteilnahme an sich zu tragen und die Mitglieder freizustellen, verweigerte jedoch die Übernahme der zusätzlich anfallenden Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Seine Argumentation stützte sich darauf, dass dieselben Schulungsinhalte auch in Form eines deutlich kostengünstigeren Webinars verfügbar gewesen wären, bei dem diese Zusatzkosten entfallen würden. Der Arbeitgeber sah es daher als nicht verhältnismäßig an, die höheren Kosten für die Präsenzveranstaltung zu tragen, wenn eine inhaltlich gleichwertige, aber günstigere Alternative existierte. Dieser Konflikt berührt Kernfragen des betriebsverfassungsrechtlichen Schulungsanspruchs: Inwieweit darf der Arbeitgeber aus Kostengründen Einfluss auf die Wahl des Schulungsformats nehmen, und welche Autonomie besitzt der Betriebsrat bei der Entscheidung, welche Art der Wissensvermittlung für seine Mitglieder am zweckmäßigsten ist? Die Vorinstanzen hatten hierzu unterschiedlich geurteilt, sodass eine klärende Entscheidung durch das höchste deutsche Arbeitsgericht notwendig wurde, um Rechtssicherheit für ähnliche Fälle in der betrieblichen Praxis zu schaffen.
Die rechtliche Grundlage: § 37 Abs. 6 BetrVG und § 40 BetrVG im Fokus
Die zentrale Rechtsnorm für den Schulungsanspruch von Betriebsratsmitgliedern ist § 37 Abs. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Nach dieser Vorschrift sind Mitglieder des Betriebsrats unter Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen, wenn sie an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen teilnehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass die in der Schulung vermittelten Kenntnisse für die ordnungsgemäße Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn die Schulungsinhalte unter Berücksichtigung der konkreten betrieblichen Verhältnisse notwendig sind, damit der Betriebsrat seine gegenwärtigen oder zukünftigen Aufgaben sachgerecht wahrnehmen kann. Dies umfasst sowohl Grundlagenschulungen für neue Betriebsratsmitglieder als auch Spezialschulungen zu bestimmten Themen des Arbeits-, Sozial- oder Betriebsverfassungsrechts, die im Betrieb aktuell relevant sind oder werden könnten.
Ergänzend zu § 37 Abs. 6 BetrVG regelt § 40 Abs. 1 BetrVG die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers. Demnach hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Dazu gehören ausdrücklich auch die Kosten, die durch die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstehen. Dies umfasst nicht nur die reinen Seminargebühren, sondern auch notwendige Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten, sofern die Schulung außerhalb des Betriebs stattfindet und eine Übernachtung erforderlich macht. Die Pflicht zur Kostentragung ist jedoch an das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit und der Verhältnismäßigkeit geknüpft. Der Betriebsrat muss bei seiner Auswahlentscheidung auch die berechtigten Interessen des Arbeitgebers, insbesondere dessen finanzielle Belastungen, berücksichtigen. Genau an diesem Punkt setzte der Streit an, der zur BAG-Entscheidung führte: Kann der Arbeitgeber die Übernahme von Kosten für eine Präsenzschulung verweigern, wenn eine günstigere Online-Alternative existiert, die dieselben Kenntnisse vermittelt? Die Auslegung dieser Paragraphen im Kontext neuer digitaler Lernformate stand somit im Mittelpunkt der gerichtlichen Prüfung.
Die Kernpunkte der BAG-Entscheidung: Stärkung des betriebsrätlichen Beurteilungsspielraums
Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Beschluss vom 7. Februar 2024 (Az. 7 ABR 8/23) mehrere zentrale Punkte herausgearbeitet, die die Position des Betriebsrats bei der Auswahl von Schulungsformaten deutlich festigen. Diese Aspekte sind für das Verständnis der Reichweite des Schulungsanspruchs und der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers von erheblicher Bedeutung.
- Eigenständiger Beurteilungsspielraum des Betriebsrats: Das BAG stellt klar, dass dem Betriebsrat bei der Auswahl der Art und Weise der Schulung ein eigener, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht (Quelle: Kliemt.Blog, Betriebsrat.de, HMS Law). Dieser Spielraum erstreckt sich ausdrücklich auch auf die Wahl des Formats – also ob eine Präsenzveranstaltung oder eine Online-Schulung (z.B. ein Webinar) besucht wird. Der Betriebsrat ist nicht verpflichtet, stets die kostengünstigste Variante zu wählen, sondern darf qualitative Aspekte in seine Entscheidung einbeziehen.
- Keine generelle Verpflichtung zur Teilnahme an Webinaren: Selbst wenn ein Online-Seminar inhaltlich gleichwertig zu einer Präsenzschulung ist und geringere Kosten verursacht, kann der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht pauschal auf die Teilnahme an Webinaren verweisen, um Kosten zu sparen (Quelle: Betriebsrat.de, HMS Law). Eine solche generelle Verweisung würde den eben genannten Beurteilungsspielraum des Betriebsrats unzulässig einschränken. Der Arbeitgeber kann zwar auf günstigere Alternativen hinweisen, die letzte Entscheidung über das Format trifft jedoch der Betriebsrat im Rahmen seiner pflichtgemäßen Ermessensausübung.
- Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit als maßgebliche Kriterien: Der Betriebsrat hat die Kompetenz, selbst zu beurteilen, welche Lernform für die Erreichung des spezifischen Schulungsziels und die Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse am zweckmäßigsten erscheint (Quelle: Kliemt.Blog). Das BAG erkennt explizit an, dass Präsenzveranstaltungen aus pädagogischen, kommunikativen oder anderen sachlichen Gründen einen höheren Lerneffekt oder einen weitergehenden Nutzen haben können. Beispiele hierfür sind der direkte, persönliche Austausch mit Referent:innen und anderen Teilnehmer:innen, die Möglichkeit zur intensiven Netzwerkarbeit oder die vertiefte Diskussion komplexer Fragestellungen in einer Gruppe. Solche Aspekte können dazu führen, dass eine Präsenzschulung als „qualitativ hochwertiger“ und damit als geeigneter für die Zwecke der Betriebsratsarbeit eingestuft wird, auch wenn sie teurer ist.
- Kostentragungspflicht des Arbeitgebers bei sachgerechter Auswahl: Konsequenterweise sind Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar vom Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen, wenn die Entsendung zu dieser Präsenzschulung vom Betriebsrat mit tragfähigen, sachlichen Erwägungen begründet werden kann und die Teilnahme an der Schulung als solche erforderlich ist (Quelle: STB Web). Die bloße Existenz einer günstigeren Online-Alternative entbindet den Arbeitgeber nicht automatisch von seiner Kostentragungspflicht für eine teurere Präsenzschulung, sofern der Betriebsrat seine Wahl nachvollziehbar begründet.
Diese Kernpunkte verdeutlichen, dass das BAG die Autonomie des Betriebsrats bei der Gestaltung seiner Bildungsarbeit sehr ernst nimmt und einer rein kostenorientierten Betrachtungsweise durch den Arbeitgeber klare Grenzen setzt.
Die Begründung des BAG und ihre weitreichenden Auswirkungen auf die Betriebsratsarbeit
Das Bundesarbeitsgericht hat seine Entscheidung, dem Betriebsrat ein weitreichendes Recht zur Wahl des Schulungsformats zuzusprechen, sorgfältig begründet und damit die Position der Arbeitnehmervertretungen in Deutschland nachhaltig gestärkt (Quellen: Kliemt.Blog, Betriebsrat.de, HMS Law). Ein zentrales Argument der Richter:innen war, dass die Zweckmäßigkeit der Schulungsform primär der Einschätzung des Betriebsrats obliegt. Dieser ist am besten in der Lage zu beurteilen, welche Art der Wissensvermittlung den spezifischen Bedürfnissen seiner Mitglieder und den Anforderungen der Betriebsratsarbeit gerecht wird. Das Gericht betonte, dass Präsenzveranstaltungen oft einen höheren Lerneffekt ermöglichen. Dieser kann sich aus dem direkten, unmittelbaren Gedankenaustausch mit den Dozierenden und anderen teilnehmenden Betriebsratsmitgliedern ergeben. Solche Interaktionen fördern nicht nur das Verständnis komplexer Sachverhalte, sondern ermöglichen auch die Diskussion betriebsspezifischer Probleme und den Erfahrungsaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg, was zu einer qualitativ höherwertigeren Veranstaltung führen kann.
Wie ein juristischer Kommentar treffend zusammenfasst: „Mit der Begründung der Rechtsprechung, eine Präsenzveranstaltung habe einen höheren Lerneffekt und führe durch den direkten Gedankenaustausch zu einer qualitativ höherwertigeren Veranstaltung, dürfte jede Arbeitnehmervertretung ihr Votum für eine Präsenzveranstaltung abgeben können“ (Quelle: Kliemt.Blog). Diese Aussage unterstreicht die Tragweite der Entscheidung. Zwar können Arbeitgeber weiterhin die grundsätzliche Erforderlichkeit einer Schulung prüfen – also ob die vermittelten Inhalte überhaupt für die Betriebsratsarbeit notwendig sind. Die Wahl des Formats, also ob diese Inhalte in Präsenz oder online vermittelt werden, bleibt jedoch grundsätzlich dem Betriebsrat überlassen, solange seine Entscheidung nicht willkürlich oder offensichtlich unzweckmäßig ist. Ein pauschaler Kostenvorbehalt des Arbeitgebers zugunsten von Online-Schulungen ist damit nicht zulässig (Quellen: STB Web, Kliemt.Blog). Gerade in einer Zeit, in der digitale Lernformate wie Webinare und E-Learning-Kurse immer präsenter werden und oft als kostengünstige Alternativen beworben werden, setzt dieser BAG-Beschluss ein wichtiges Zeichen. Er stellt klar, dass die betriebliche Interessenvertretung nicht ohne Weiteres auf digitale Formate verwiesen werden kann, wenn aus ihrer Sicht sachliche Gründe für die Teilnahme an einer Präsenzveranstaltung sprechen. Dies sichert die Qualität der Betriebsratsarbeit und die dafür notwendige Wissensaneignung.
Praktische Konsequenzen für Betriebsräte und Arbeitgeber: Was bedeutet der Beschluss für die Praxis?
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat unmittelbare praktische Auswirkungen auf die Planung und Durchführung von Schulungen für Betriebsratsmitglieder. Sowohl Betriebsräte als auch Arbeitgeber müssen sich auf die neue Rechtslage einstellen und ihre bisherige Praxis gegebenenfalls anpassen.
Für Betriebsräte bedeutet dies:
- Gestärkte Autonomie: Betriebsräte können künftig selbstbewusster Präsenzschulungen auswählen, auch wenn ein inhaltlich vergleichbares und kostengünstigeres Webinar angeboten wird. Die Entscheidung für eine Präsenzveranstaltung muss jedoch weiterhin sachlich begründet werden können.
- Begründungspflicht: Es ist ratsam, die Gründe für die Wahl einer Präsenzschulung im Beschluss des Betriebsrats sorgfältig zu dokumentieren. Argumente können beispielsweise der höhere Lerneffekt durch direkte Interaktion, die Möglichkeit zum Netzwerken, spezifische didaktische Methoden des Präsenzseminars oder die Notwendigkeit vertiefter Diskussionen sein, die in einem Webinar nur schwer umsetzbar sind.
- Verhältnismäßigkeitsprüfung: Trotz des gestärkten Beurteilungsspielraums müssen Betriebsräte weiterhin das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachten. Offensichtlich unsinnige oder unverhältnismäßig teure Schulungen ohne nachvollziehbaren Mehrwert gegenüber einer Online-Alternative könnten weiterhin problematisch sein. Die Wahl des Schulungsortes sollte beispielsweise nicht willkürlich an einem touristisch attraktiven, aber sehr teuren Ort erfolgen, wenn gleichwertige Seminare näher und günstiger verfügbar sind.
Für Arbeitgeber bedeutet dies:
- Eingeschränkte Einflussnahme auf das Format: Arbeitgeber sollten sich darauf einstellen, die Kosten für Präsenzschulungen – einschließlich Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten – zu übernehmen, sofern die Auswahl durch den Betriebsrat sachlich begründet ist und die Schulung an sich erforderlich ist. Ein pauschaler Verweis auf günstigere Webinare ist nicht mehr ohne Weiteres möglich.
- Prüfung der Erforderlichkeit weiterhin möglich: Der Arbeitgeber behält das Recht, die grundsätzliche Erforderlichkeit der Schulungsinhalte für die Betriebsratsarbeit zu überprüfen. Stellt sich heraus, dass die Schulung keine für die Tätigkeit des Betriebsrats relevanten Kenntnisse vermittelt, kann die Kostenübernahme auch weiterhin verweigert werden.
- Dialog suchen: Im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit empfiehlt es sich für Arbeitgeber, das Gespräch mit dem Betriebsrat zu suchen, wenn Bedenken hinsichtlich der Kosten oder des Formats einer Schulung bestehen. Möglicherweise lassen sich Kompromisse finden, ohne die Autonomie des Betriebsrats zu beschneiden.
Grenzen des Beurteilungsspielraums:
Der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats ist nicht grenzenlos. Nur in speziellen Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber erfolgreich intervenieren. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn die Kosten für eine Präsenzschulung in einem krassen Missverhältnis zum Nutzen stehen oder wenn die vom Betriebsrat angeführten Gründe für die Präsenzschulung offensichtlich vorgeschoben oder nicht tragfähig sind (Quelle: Kliemt.Blog). Ein Beispiel könnte eine sehr teure Luxus-Schulung sein, obwohl eine qualitativ gleichwertige Standard-Präsenzschulung zu einem Bruchteil der Kosten verfügbar wäre. Ebenso kann der Arbeitgeber die Erforderlichkeit der Schulung an sich weiterhin bestreiten. Die aktuelle BAG-Entscheidung verschiebt jedoch das Pendel deutlich zugunsten der Entscheidungskompetenz des Betriebsrats bezüglich des Formats.
Die Bedeutung des direkten Austauschs und der Vernetzung: Warum Präsenzschulungen oft wertvoller sind
Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts, dass Präsenzveranstaltungen aus pädagogischen, kommunikativen oder anderen sachlichen Gründen einen höheren Lerneffekt haben können, stützt sich auf anerkannte lerntheoretische Überlegungen und praktische Erfahrungen. Während Webinare und Online-Kurse unbestreitbare Vorteile in Bezug auf Flexibilität und Kosten bieten, können sie bestimmte Aspekte des Lernens und der beruflichen Weiterentwicklung, die gerade für die anspruchsvolle Tätigkeit von Betriebsratsmitgliedern wichtig sind, oft nur unzureichend abbilden. Der direkte persönliche Austausch in Präsenzschulungen ermöglicht eine Tiefe der Interaktion, die in digitalen Formaten schwer zu replizieren ist. Teilnehmer:innen können unmittelbar auf Vorträge reagieren, Nachfragen stellen und in Echtzeit diskutieren. Diese dynamische Wechselwirkung fördert nicht nur das Verständnis, sondern auch das kritische Denken und die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
Ein weiterer wesentlicher Vorteil von Präsenzschulungen ist die Möglichkeit zur intensiven Vernetzung. Betriebsratsmitglieder aus unterschiedlichen Unternehmen und Branchen kommen zusammen, tauschen Erfahrungen aus und bauen Kontakte auf, die über die eigentliche Schulung hinaus von großem Wert sein können. Dieser informelle Wissenstransfer und die Bildung von Netzwerken sind wichtige Ressourcen für die tägliche Betriebsratsarbeit. Oft entstehen hier Lösungsansätze für betriebliche Probleme, die im eigenen Unternehmen noch nicht bedacht wurden. Darüber hinaus spielt die nonverbale Kommunikation eine nicht zu unterschätzende Rolle im Lernprozess. Mimik, Gestik und Körpersprache der Referent:innen und der anderen Teilnehmenden tragen zu einem umfassenderen Verständnis bei und können die Aufnahmebereitschaft sowie die Motivation steigern. In Gruppenarbeiten und Diskussionsrunden vor Ort können zudem soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick und Konfliktlösung effektiver trainiert werden als in rein virtuellen Umgebungen. Die gemeinsame Erfahrung einer Präsenzschulung kann auch den Zusammenhalt innerhalb eines Betriebsratsgremiums stärken, insbesondere wenn mehrere Mitglieder gemeinsam teilnehmen. Diese Aspekte zusammengenommen können die „qualitativ höherwertige Veranstaltung“ begründen, von der das BAG spricht, und rechtfertigen somit die Entscheidung des Betriebsrats für eine Präsenzschulung trotz möglicherweise höherer Kosten.
Fazit und Ausblick: Gestärkte Autonomie für eine qualifizierte Betriebsratsarbeit
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Februar 2024 (Az. 7 ABR 8/23) stellt einen wichtigen Meilenstein für die Rechte der Betriebsräte in Deutschland dar (Quellen: Kliemt.Blog, Betriebsrat.de, HMS Law, STB Web). Sie stärkt maßgeblich die Autonomie des Betriebsrats bei der Auswahl des geeigneten Schulungsformats. Kernbotschaft ist, dass eine pauschale Verpflichtung zur Teilnahme an günstigeren Online-Schulungen, selbst wenn diese inhaltlich gleichwertig sind, nicht besteht. Vielmehr darf der Betriebsrat im Rahmen seiner gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungskompetenz auch die teurere, aber aus seiner Sicht sachlich gebotene und für die Erreichung der Lernziele effektivere Präsenzschulung wählen.
Für Dich als Jurastudierende:r oder junge:r Jurist:in ist dieser Beschluss von besonderem Interesse, da er die dynamische Entwicklung des Arbeitsrechts im digitalen Zeitalter illustriert und die Bedeutung von Arbeitnehmervertretungsrechten unterstreicht. Die Abwägung zwischen Kosteneffizienz und qualitativ hochwertiger Wissensvermittlung, die für eine kompetente Interessenvertretung unerlässlich ist, wird hier klar zugunsten der Letzteren und der Entscheidungskompetenz des Betriebsrats justiert. Arbeitgeber sind nunmehr gehalten, die vom Betriebsrat dargelegten sachlichen Gründe für die Wahl einer Präsenzveranstaltung ernst zu nehmen und können sich nicht allein auf das Argument der Kostenersparnis durch Webinare berufen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Rechtsprechung in der betrieblichen Praxis konkret auswirken wird. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Betriebsräte ihre Wahlmöglichkeiten selbstbewusster nutzen werden, was letztlich zu einer weiteren Professionalisierung und Qualifizierung der Betriebsratsarbeit beitragen kann. Die Fähigkeit, komplexe juristische und wirtschaftliche Sachverhalte zu verstehen und im Sinne der Belegschaft zu verhandeln, hängt maßgeblich von einer fundierten Aus- und Weiterbildung ab – und die Wahl des richtigen Formats dafür liegt nun klarer denn je in den Händen des Betriebsrats.