Keine Verjährung ohne Offenlegung – OLG Köln zum Unterlassungsdelikt

Eine gläserne Sanduhr steht auf einem polierten Holztisch neben einem dicken, ledergebundenen Gesetzbuch. Der Sand in der oberen Hälfte der Sanduhr ist erstarrt und fließt nicht nach unten, was symbolisiert, dass die Zeit nicht vergeht. Die Szene ist in einem realistischen Stil gehalten, mit dramatischem Licht, das die Details hervorhebt.
Im Handels- und Gesellschaftsrecht gibt es Pflichten, deren Missachtung weitreichende und vor allem langanhaltende Konsequenzen haben kann. Eine dieser zentralen Pflichten ist die Offenlegung des Jahresabschlusses. Doch was geschieht, wenn ein Unternehmen dieser Pflicht nicht nachkommt?

Wann beginnt die Verjährung bei unterlassener Offenlegung von Jahresabschlüssen? Das OLG Köln zur Einordnung als Unterlassungsdelikt

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Relevanz für das erste Staatsexamen: Mittel

Relevanz für das zweite Staatsexamen: Hoch

Wichtigste Erkenntnisse

  • Das OLG Köln stuft die unterlassene Offenlegung von Jahresabschlüssen als echtes Unterlassungsdelikt ein, bei dem der rechtswidrige Zustand dauerhaft aufrechterhalten wird.
  • Die Verjährung der Ordnungswidrigkeit beginnt erst, wenn die Offenlegungspflicht vollständig und ordnungsgemäß erfüllt wurde. Ein bloßer Zeitablauf führt nicht zur Verjährung.
  • Unternehmen können sich ihrer Pflicht nicht durch „Aussitzen“ entziehen; das Bundesamt für Justiz kann auch Jahre später noch Ordnungsgelder festsetzen.
  • Die Entscheidung unterstreicht die enorme praktische Bedeutung von Compliance und Fristenmanagement, da die finanziellen Risiken für Unternehmen und die persönliche Haftung der Organe erheblich sind.

Inhaltsverzeichnis

  1. Die gesetzliche Pflicht zur Offenlegung und das Ordnungsgeldverfahren nach § 335 HGB
  2. Die dogmatische Weichenstellung: Begehungsdelikt versus echtes Unterlassungsdelikt
  3. Die Kölner Entscheidung: Kein Verjährungsbeginn ohne vollständige Erfüllung
  4. Praktische Auswirkungen und Konsequenzen für die Rechtsberatung
  5. Fazit: Klarheit mit weitreichenden Folgen

Im Handels- und Gesellschaftsrecht gibt es Pflichten, deren Missachtung weitreichende und vor allem langanhaltende Konsequenzen haben kann. Eine dieser zentralen Pflichten ist die Offenlegung des Jahresabschlusses. Doch was geschieht, wenn ein Unternehmen dieser Pflicht nicht nachkommt? Die Frage, wann die Verjährung bei unterlassener Offenlegung von Jahresabschlüssen beginnt, ist von enormer praktischer Relevanz und sorgt immer wieder für rechtliche Auseinandersetzungen. Ein jüngster Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Köln hat hier für erhebliche Klarheit gesorgt, indem es die Nichtoffenlegung als echtes Unterlassungsdelikt qualifiziert. Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis von Unternehmen und deren Berater:innen und verdeutlicht, dass ein reines „Aussitzen“ der Pflicht keine erfolgsversprechende Strategie ist. Für Dich als angehende:n Jurist:in ist dieses Thema ein exzellentes Beispiel dafür, wie dogmatische Feinheiten des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts direkte wirtschaftliche Folgen im Gesellschaftsrecht nach sich ziehen.

Die gesetzliche Pflicht zur Offenlegung und das Ordnungsgeldverfahren nach § 335 HGB

Bevor wir in die Tiefen der Verjährungsproblematik eintauchen, ist es entscheidend, das Fundament zu verstehen: die Offenlegungspflicht selbst. Kapitalgesellschaften (wie GmbHs und AGs) sowie bestimmte Personengesellschaften sind nach den §§ 325 ff. HGB gesetzlich verpflichtet, ihre Jahres- und Konzernabschlüsse beim Betreiber des Bundesanzeigers elektronisch einzureichen. Diese Pflicht dient fundamentalen Zielen des Gläubigerschutzes und der Markttransparenz. Geschäftspartner:innen, Investor:innen und die allgemeine Öffentlichkeit sollen sich ein verlässliches Bild von der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens machen können. Die Frist hierfür ist strikt: Der Jahresabschluss muss spätestens zwölf Monate nach dem Abschlussstichtag des betreffenden Geschäftsjahres offengelegt werden.

Kommt ein Unternehmen dieser Verpflichtung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig nach, greift der Sanktionsmechanismus des § 335 HGB. Das Bundesamt für Justiz (BfJ) leitet von Amts wegen ein Ordnungsgeldverfahren ein. Dabei wird das Unternehmen zunächst unter Androhung eines Ordnungsgeldes aufgefordert, die Offenlegung innerhalb einer Nachfrist von sechs Wochen vorzunehmen. Das angedrohte Ordnungsgeld beträgt in der Regel zwischen 2.500 und 25.000 Euro. Wird die Pflicht auch innerhalb dieser Nachfrist nicht erfüllt, setzt das BfJ das Ordnungsgeld fest und wiederholt das Verfahren so lange, bis die Offenlegung erfolgt ist. Genau an dieser Stelle setzt die nun vom OLG Köln entschiedene Frage an: Wie lange kann der Staat dieses Verfahren betreiben? Kann sich ein Unternehmen irgendwann auf Verjährung berufen, auch wenn es seine Pflicht nie erfüllt hat? Die Antwort liegt in der rechtlichen Natur der Pflichtverletzung.

Die dogmatische Weichenstellung: Begehungsdelikt versus echtes Unterlassungsdelikt

Um die Entscheidung des OLG Köln nachzuvollziehen, ist ein kurzer Exkurs in die Grundlagen des Ordnungswidrigkeitenrechts, insbesondere zur Lehre von den Handlungs- und Unterlassungsdelikten, unerlässlich. Die Verjährung einer Ordnungswidrigkeit beginnt gemäß § 31 Abs. 3 OWiG, sobald die Tat beendet ist. Der entscheidende Punkt ist also die Bestimmung des Beendigungszeitpunkts. Bei einem klassischen Begehungsdelikt, das durch ein aktives Tun verwirklicht wird (z.B. eine Geschwindigkeitsüberschreitung), ist die Sache einfach: Mit dem Abschluss der Handlung ist die Tat beendet und die Verjährungsfrist beginnt zu laufen.

Komplexer wird es bei Unterlassungsdelikten. Hier wird der Täterin oder dem Täter nicht ein aktives Tun, sondern das pflichtwidrige Nichtstun vorgeworfen. Man unterscheidet hier zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten. Ein unechtes Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn jemand eine Garantenstellung innehat und durch Unterlassen einen Erfolg herbeiführt, der auch durch aktives Tun hätte verwirklicht werden können (z.B. die Mutter, die ihr Kind nicht füttert und damit dessen Tod durch Unterlassen verursacht, § 13 StGB). Bei einem echten Unterlassungsdelikt hingegen knüpft das Gesetz den Vorwurf direkt an das Unterlassen einer gebotenen Handlung (z.B. die unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB). Die Nichtoffenlegung des Jahresabschlusses ist ein Paradebeispiel für ein solches echtes Unterlassungsdelikt. Die Ordnungswidrigkeit besteht gerade darin, eine gesetzlich geforderte Handlung – die Einreichung der Unterlagen – nicht vorzunehmen. Für diese Deliktsgruppe gilt dogmatisch, dass die Tat erst dann beendet ist, wenn die Handlungspflicht erlischt. Dies kann durch die Vornahme der gebotenen Handlung geschehen oder dadurch, dass die Pflicht aus anderen Gründen entfällt, beispielsweise weil das Unternehmen liquidiert und aus dem Handelsregister gelöscht wird.

Die Kölner Entscheidung: Kein Verjährungsbeginn ohne vollständige Erfüllung

Mit seinem Beschluss vom 3. April 2024 (Az. 28 Wx 1/24) hat das OLG Köln diese dogmatischen Grundsätze konsequent auf das Ordnungsgeldverfahren nach § 335 HGB angewendet und damit für Rechtsklarheit gesorgt. Im zugrundeliegenden Fall hatte ein Unternehmen den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2019 nicht fristgerecht offengelegt. Das Bundesamt für Justiz hatte daraufhin ein Ordnungsgeld festgesetzt. Das Unternehmen wehrte sich dagegen und berief sich auf die Verfolgungsverjährung. Es argumentierte, die Verjährungsfrist habe mit dem Ablauf der Offenlegungsfrist am 31. Dezember 2020 zu laufen begonnen.

Das OLG Köln erteilte dieser Ansicht eine klare Absage. Es stufte die unterlassene Offenlegung als echtes Unterlassungsdelikt ein. Die Kernbotschaft des Gerichts lautet: Die Ordnungswidrigkeit wird durch das dauerhafte pflichtwidrige Unterlassen der Offenlegung verwirklicht und ist erst dann beendet, wenn diese Pflicht vollständig und ordnungsgemäß erfüllt wird. Eine unvollständige oder mangelhafte Einreichung reicht nicht aus, um die Beendigung der Tat herbeizuführen. Erst mit der vollständigen Nachholung der Offenlegung beginnt die Verjährungsfrist zu laufen.

Im konkreten Fall hatte das Unternehmen den Abschluss für 2019 erst am 19. Juni 2023 vollständig eingereicht. Folglich begann die zweijährige Verjährungsfrist (§ 335 Abs. 6 HGB i.V.m. § 31 Abs. 2 Nr. 3 OWiG) auch erst an diesem Datum. Die vorherige Festsetzung des Ordnungsgeldes war somit rechtmäßig und keinesfalls verjährt.

Die zentralen Thesen des OLG Köln lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Kernaussage des OLG Köln Begründung und dogmatische Einordnung
Einordnung als echtes Unterlassungsdelikt Die Tat besteht im dauerhaften Nicht-Handeln trotz bestehender gesetzlicher Handlungspflicht. Der Unrechtsgehalt liegt in der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands.
Beginn der Verjährung Die Tat ist erst beendet, wenn die Offenlegungspflicht vollständig und ordnungsgemäß erfüllt ist oder die Pflicht aus anderen Gründen entfällt (z.B. Löschung der Gesellschaft).
Folge für die Praxis Ein bloßer Zeitablauf nach Fälligkeit der Offenlegung führt nicht zur Verjährung. Das Ordnungsgeld kann auch Jahre später noch festgesetzt werden, solange die Pflicht nicht erfüllt wurde.
Keine Heilung durch Teilerfüllung Eine unvollständige oder fehlerhafte Offenlegung beendet die Tat nicht und setzt die Verjährungsfrist nicht in Gang.

Diese Rechtsprechung (nachzulesen u.a. bei NWB, BC Beck und direkt im Beschluss des OLG Köln) stellt sicher, dass sich Unternehmen ihrer Verantwortung nicht durch schlichtes Abwarten entziehen können. Sie steht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Offenlegungspflichten sowie der allgemeinen Systematik des Ordnungswidrigkeitenrechts, wie sie in § 31 OWiG zum Ausdruck kommt.

Praktische Auswirkungen und Konsequenzen für die Rechtsberatung

Die Entscheidung des OLG Köln hat erhebliche praktische Konsequenzen für die Unternehmens- und Beratungspraxis. Sie zementiert eine Rechtsansicht, die für Unternehmen, die mit ihren Offenlegungspflichten im Rückstand sind, ein erhebliches und vor allem langanhaltendes finanzielles Risiko darstellt. Die wichtigste Lehre aus diesem Beschluss ist, dass die Hoffnung auf Verjährung eine trügerische ist. Geschäftsführer:innen und Vorstände müssen sich darüber im Klaren sein, dass die „Uhr“ der Verjährung erst zu ticken beginnt, wenn sie ihre Pflichten vollständig erfüllt haben. Jedes Jahr der Nichtoffenlegung ist ein eigenständiger Verstoß, der geahndet werden kann, und das Damoklesschwert eines Ordnungsgeldes schwebt so lange über dem Unternehmen, bis der rechtskonforme Zustand hergestellt ist.

Für Dich als zukünftige:n Rechtsberater:in bedeutet dies, Mandant:innen unmissverständlich auf dieses Risiko hinzuweisen. Eine Strategie des Ignorierens oder der unvollständigen „Teilerfüllung“ ist nicht nur rechtlich unhaltbar, sondern auch wirtschaftlich unklug. Die Ordnungsgelder können sich über die Jahre summieren und zu einer erheblichen finanziellen Belastung werden. Die einzig sinnvolle Empfehlung lautet daher, eine versäumte Offenlegung schnellstmöglich, vollständig und korrekt nachzuholen. Dies beendet nicht nur den rechtswidrigen Zustand und startet die Verjährungsfrist für die Vergangenheit, sondern verhindert auch die Einleitung weiterer, neuer Ordnungsgeldverfahren für dasselbe Geschäftsjahr. Der Beschluss unterstreicht zudem die Wichtigkeit einer lückenlosen internen Organisation und eines funktionierenden Fristenmanagements in Unternehmen. Die Einhaltung von Compliance-Vorschriften, wie der Offenlegungspflicht, ist kein „nice-to-have“, sondern eine zentrale unternehmerische Aufgabe mit potenziell gravierenden finanziellen und persönlichen Haftungsrisiken für die Organe der Gesellschaft. Die Justiziabilität wird durch diese klare Rechtsprechung gestärkt, da Umgehungsversuche effektiv unterbunden werden (siehe dazu auch die Erwägungen bei Rehm Verlag).

Fazit: Klarheit mit weitreichenden Folgen

Die Entscheidung des OLG Köln zur Verjährung bei unterlassener Offenlegung von Jahresabschlüssen ist mehr als nur eine juristische Spitzfindigkeit. Sie ist eine klare Ansage an alle Unternehmen, ihre gesetzlichen Transparenzpflichten ernst zu nehmen. Indem das Gericht die Nichtoffenlegung als echtes Unterlassungsdelikt qualifiziert, dessen Beendigung von der vollständigen Erfüllung der Handlungspflicht abhängt, schiebt es der Berufung auf Verjährung in diesen Fällen einen wirksamen Riegel vor. Für Studierende und junge Jurist:innen bietet der Fall eine hervorragende Gelegenheit, die Verzahnung von materiellem Handelsrecht und den allgemeinen Lehren des Ordnungswidrigkeitenrechts zu studieren. Er zeigt auf, wie entscheidend eine saubere dogmatische Einordnung für die Lösung eines hoch relevanten praktischen Problems sein kann. Die Botschaft ist eindeutig: Die Pflicht zur Offenlegung ist eine Dauerpflicht, und der Staat vergisst nicht, solange sie nicht erfüllt ist.

Diesen Beitrag teilen:

Weitere Beitäge

Ein aufgeräumter Schreibtisch mit juristischen Lehrbüchern, einem aufgeschlagenen Kalender, der auf Februar 2026 zeigt, und im Hintergrund eine fokussierte Person, die lernt. Realistischer Stil.

Erstes Staatsexamen 2026 in Sachsen-Anhalt – Alle Termine & Inhalte

Die Planung für das erste juristische Staatsexamen ist ein entscheidender Meilenstein im Leben aller angehenden Jurist:innen. Eine der fundamentalsten Fragen, die sich dabei stellt, lautet: Wann findet das erste juristische Staatsexamen im Bundesland Sachsen-Anhalt im Jahr 2026 statt? Eine frühzeitige Kenntnis der Termine und der Prüfungsstruktur ist unerlässlich, um die intensive Vorbereitungsphase, die sogenannte „heiße Phase“, optimal zu gestalten und sich mental auf die bevorstehenden Herausforderungen einzustellen.

Jetzt neu! Jurabuddy ONE

Der smarte Begleiter für dein Jurastudium

Erfasse deine Probleklausuren und erhalte individuelle Statistiken zu deinem Lernfortschritt in jedem Rechtsgebiet

Volle Flexibilität und immer den Überblick behalten, vom Studium bis zum zweiten Examen!